Es war Nacht in Myrthasien. Klirrender Frost liess alles Leben erstarren. Der Mond, der zu Beginn der Nacht noch mit seinem kalten Licht die schneebedeckten Hügel erhellt hatte, war hinter einer dichten Wolkendecke verschwunden.
Tyrian saß am Fenster des Drachenturms und blickte missmutig hinaus in die Weite. Über den östlichen Hügeln konnte er Gad erkennen, der, in luftiger Höhe seine Kreise ziehend, auf der Jagd war. Auch wenn Myrtha ihn selbst nicht mehr als Baby behandelte, durfte er doch noch nicht mit den erwachsenen Drachen mitziehen, um Beute zu schlagen.
Eigentlich fühlte er sich ganz wohl hier in der Drachenpflegestation. Bis auf Bronadui, den alten Kämpen, war hier keiner groß an sportlichen Erfolgen interessiert und so musste er sich nicht mehr tagaus, tagein anhören, wer wann welche Tore geworfen hatte. Aber es war ein wenig langweilig unter den ganzen Erwachsenen, und er vermisste einen Spielkameraden. Gut, da war noch WeichEi, das neben ihm auf einem Kissen im Stoffnest lag.
Er mochte WeichEi. Aber es war ein wenig langweilig.
Mittlerweile wurde es langsam heller, die Dämmerung brach an. Tyrian bekam langsam Hunger, es wurde Zeit dass Myrtha mit dem Frühstückshuhn kam. Normalerweise wäre sie längst da gewesen. Merkwürdig.
Wenn er sich recht überlegt, war sie gestern schon so komisch gewesen. Überhaupt passierten hier in der letzten Zeit merkwürdige Dinge.
Erst letzte Woche waren ein paar alte Magier im Turm gewesen und er hatte schon gefürchtet, jetzt zur Schule zu müssen. Aber sie hatten sich nur umgesehen, Sachen wie "gut, gut" gemurmelt und dann lauter komplizierte Sprüche heruntergeleiert.
Die Dämmerung wurde heller, der Morgen brach langsam an, auch wenn von der Sonne, wie in diesem ganzen langen trüben Winter, nichts zu sehen war.
Auf einmal bemerkte Tyrian, das etwas anders war als sonst. Neben dem Fenster, wo WeichEi lag, hatte Myrtha gestern einen großen Stoffhaufen platziert. War das etwa Samt?
Darüber schien die Luft ein wenig zu flimmern. Tyrann versuchte, genauer hinzuschauen, aber es schien nicht möglich zu sein. Immer wieder schweifte sein Blick zum Fenster hinaus, als ob die Luft selbst ihn ablenken wollte.
Aus dem Augenwinkel sah er, dass das Flimmern stärker wurde. Die Luft schien regelrecht zu vibrieren - jetzt veränderte sich die Farbe ein wenig - ein bläulicher Schimmer, kaum zu sehen, veränderte das Licht. Nun hörte Tyrian ein leises Geräusch, ein Zischen, nein, ein Sirren… er musste sich die Ohren zuhalten, und auf einmal wurde das Licht um die flimmernde Stelle immer heller, so dass er nun auch die Augen schliessen musste, um nicht geblendet zu werden.
Nach einer Weile schien es ihm dass das Sirren leiser wurde, und er traute sich, die Pfoten von den Ohren zu nehmen und die Augen einen Spalt zu öffnen.
Und da sah er es. Das Ei. Strahlend schön, mit einem inneren Glanz schien es zu leuchten, lag es neben WeichEi auf dem Samtigen Kissen.
BrightEi war in Myrthasien angekommen.
______________________________________________
"Tyrian, heute ist es endlich soweit!!" Myrtha war ganz aufgeregt und wuselte hektisch im Kinderzimmer des Drachenturms herum.
"Wir bekommen ein Baby!" Ach deshalb die ganze Aufregung! - nun verstand Tyrian warum die Magier schon wieder, mühsam keuchend nach dem steilen Aufstieg in den Turm, mystische Beschwörungen gemacht hatte. Myrtha hatte Mengen von Kohle herbeigeschleppt und alles mit Kerzen hell erleuchtet. Dann war da immer noch ein Typ, den Myrtha "Geburtshelfer" nannte, aber Tyrian kannte ihn nicht. Und seinen Namen konnte er sich auch nicht merken. "So wie der Erzengel, Tyrian" meinte Myrtha immer, aber was bitte ist denn ein Erzengel schon wieder? "Die haben auch Flügel" seufzte Myrtha nach unzähligen vergeblichen Erklärungsversuchen und damit gab sich Tyrian erstmal zufrieden.
Schliesslich kam der spannende Moment und BrightEi begann zu vibrieren. Das sanfte grüne Leuchten verstärkte sich ein wenig, pulsierte schliesslich gleichmässig, während ein leichtes Knistern den Raum erfüllte. Gespannt beobachtete Tyrian, wie sich ein kleiner Riss bildete - da, noch einer - nun platzte ein Stück der Schale auf und er konnte etwas erkennen - war das ein Ohr?
Kaum konnte er still sitzen bleiben, aber er wollte nicht stören.
Schliesslich brach das Ei mit einem Knall auf - und da sass ein niedliches grünes Drachenbaby und schaute ein wenig verwirrt in den ganzen Kerzenschein.
Myrtha juchzte und brabbelte verzückt vor sich hin "Ein Mädchen, Tyrian, schau nur, es ist ein Mädchen, ist es nicht wunderschön?"
Doch, das musste Tyrian zugeben. Der grüne pulsierende Schimmer war nun auf den Drachen übergegangen und liess sie ein wenig mütterlich aussehen. Sofern man das von einem Baby sagen konnte.
Nun hatte Tyrian endlich eine Spielgfährtin.
Myrtha nahm ein winziges Fläschchen und tropfte zwei Tropfen Tau, die sie früh an diesem Morgen draussen im Kräutergarten gesammelt hatte, auf die Stirn des Babys, das empört fauchte und ein winziges dampfwölkchen aus den Nüstern blies.
"Hiermit taufe ich Dich auf den Namen Bridget" sprach sie feierlich.
Willkommen in Myrthasien, Bridget!
*** ** *** ** *** ** *** ** *** ** *** **
Bridget saß am Fenster des Drachenturms und schaute den erwachsenen Drachen hinterher. Jeden Abend gegen Sonnenuntergang verliessen sie den Turm und flogen zu den westlichen Wäldern, um dort zu jagen. Ein merkwürdiges Sehnen ergriff sie, wenn sie ihnen nachsah. Bisher war sie ganz zufrieden gewesen, im Turm zu sitzen, mit Tyrian zu spielen, WeichEi ein wenig umherzurollen oder Myrtha zu ärgern, indem sie gelegentlich die Vorhänge im Drachenkinderzimmer in Brand setzte.
Langweilig war es dennoch nicht. Erst letzte Woche hatte das geheime Babyligaspiel der Drachenkinder stattgefunden. Selbst Tyrian, der sich immer die Ohren zuhielt, wenn die anderen über Dragball erzählten, hatte mitgespielt und es war ein Riesenspaß für alle gewesen.
Dennoch war sich Bridget recht sicher, dass sie nicht so groß in den Sport einsteigen wollte wie andere das taten.
Gestern war Myrtha von einer längeren Reise zurückgekehrt, ein geheimnisvolles Lächeln auf ihrem Gesicht. Aber sie verriet weder was sie gemacht hatte noch wo sie gewesen war. Heute hatte sie begonnen, ein bisher verschlossenes Zimmer im Turm herzurichten, aber immer wenn Bridget und Tyrian nachschauen wollten, klappte sie ihnen energisch die Tür vor der Nase zu und rief "Noch nicht", wobei sie ganz komisch guckte, besonders wenn sie Bridget dabei ansah.
"Du bildest Dir das nur ein" meinte Tyrian, aber Bridget war sich sicher das es etwas mit ihr zu tun haben musste.
Zudem hatte sie einen äusserst verführerischen Duft gewittert, der aus dem Zimmer kam. Wenn sie nur einmal hineinschauen könnte…
Aus irgendeinem Grund musste sie an einen der Drachen im Publikum denken, der sie beim Spiel immerzu angesehen hatte.
"Bridget, sei nicht albern" rief sie sich selbst zur Ordnung. "Was will schon ein erwachsener berühmter Dragballdrache von Dir, du unansehnliches grünes Kind."
Aber sie konnte nicht verleugnen, dass sie unaufhaltsam größer wurde. Manchmal war es ganz komisch und sie wollte Tyrian ein wenig in den Arm nehmen. Wie albern. Sie war doch lange nach ihm geschlüpft…. aber es war nicht zu übersehen, dass Tyrian überhaupt nicht zu wachsen schien, während sie immer größer wurde. Seltsam…. heute Abend würde sie Myrtha einmal fragen, was es mit dem Wachstum auf sich hatte.
Ihr Blick schweifte wieder zu den westlichen Wäldern, wo die Drachen längst hinter dem Horizont verschwunden waren. Cil war auch immer sehr nett zu ihr…
____________________________________
Im Drachenturm wird heute gefeiert:
Bridget hat die Schwelle zum Erwachsenenalter überschritten und ist jetzt eine selbstbewusste intelligente Junge Drachendame!
____________________________________
Tyrian trommelte mißmutig mit seinen Vorderpfoten auf den Teppich. Bridget hatte ihm versprochen, diese Woche mit ihm jagen zu gehen. Und? Nun saß sie seit Tagen mit diesem.... DRAGBALLER da oben im obersten Stockwerk des Turms rum. Soweit zu Versprechen von Erwachsenen. Kaum kam einer vorbei und machte ihnen schönen Augen, liessen sie alle Versprechungen fallen und turtelten nur noch herum.
Tyrian seufzte tief. Immer nur Kind sein war auch nicht so einfach.
