Die Legende von Tarasque
Vor langer Zeit entstieg in Frankreich ein Monster dem Mittelmeer und wählte den Fluss Rhône als sein neues Zuhause. Dieser Drache war zur Hälfte Landsäugetier, zur Hälfte aber Fisch! An Grösse übertraf er zwölf Elefanten, im Maul blitzten Zähne schärfer als Schwerter, und die Haut war hart wie Stahl. Der Name der Kreatur war Tarasque, und sie hatte berüchtigte Eltern: Der Leviatan, der Seedrache der Bibel, war ihr Vater, und die Riesenschlange Onachus ihre Mutter.
Wo immer das Untier erschien, verbreitete es Angst und Schrecken. Selbst die Tiere flohen vor ihm. Ganze Dörfer zerstörte der Drache, und sein giftiger Atem wirkte wie Feuer. Manch ein Held versuchte das Untier zu töten - und starb dabei selbst den Heldentod.
Sieben Jahre zogen ins Land. Da fand ein Bauer die Drachenhaut und hielt Tarasque für tot. Doch die Freude währte nicht lange: Obwohl eine Mischung aus Säuger und Fisch, musste der Drache gleich den Schlangen alle sieben Jahre sich häuten.
Sieben weitere Jahre vergingen. Längst hatte Tarasque alle Brücken zerstört. Wer es dennoch wagte, den Fluss zu durchqueren, wurde von dem Drachen verschlungen. Einen letzten Versuch unternahm die Bevölkerung, die Plage zu bannen. In der Nähe von Avignon befand sich ein tiefer Sumpf. Wer dort hinein geriet, war auf ewig verloren. Dorthin sollte der Drache gelockt werden. Als Köder wurde Vieh an die Bäume gebunden. Zunächst schien alles zu klappen. Doch am Rande des Sumpfes machte das Untier kehrt und stürzte zurück zum Fluss. Denn der Sumpf gehörte zum Reich des Teufels, und der Instinkt seiner höllischen Vorfahren hatte den Drachen gewarnt.
Und wieder mussten sieben Jahre in Schrecken vergehen. Doch dann kam Hilfe übers Meer in Gestalt der Heiligen Martha. Unerschrocken trat sie Tarasque entgegen - barfuss, und mit keiner anderen Waffe als einem Krug voll Weihwasser. Natürlich wollte der Drache seine Widersacherin verschlingen, und doch wurde er durch das Zeichen des Kreuzes gebannt. Martha führte das Untier in die Stadt, wo die die Bevölkerung es erschlug. Eine Kirche wurde zu Ehren der Heiligen errichtet. Und die Stadt änderte ihren Namen in Tarascon.
Aber tief unten unter der Stadt, in den Tiefen der Katakomben, in die man den Leichnam des Drachen gebracht hatte, soll man von Zeit zu Zeit ein finsteres Grollen vernehmen können. Und es geht die Sage, dass Tarasque nur schläft...